»Hilfe! Wir sollen entwickelt werden.« – eine Leseempfehlung

Im Frühjahrssemester 2025 bietet die DAFRIG zusammen mit Partnervereinen eine Vortragsreihe an, die sich mit Anspruch und Wirklichkeit von Projekten der Entwicklungshilfe befasst. Dazu passt ein Text von Patrick Kaczmarczyk, der am 26. Mai auf dem Internetportal Jacobin erschienen ist:

Entwicklungshilfe war schon immer ein Machtinstrument

von Patrick Kaczmarczyk

Elon Musk hat die Entwicklungshilfe massiv gekürzt und damit Chaos und Empörung ausgelöst. Dabei darf eines jedoch nicht vergessen werden: Entwicklungshilfe ist keine Wohltätigkeit, sondern dient vor allem den Interessen der Geberländer.

»Der reichste Mann der Welt ist in den Tod der ärmsten Kinder der Welt involviert«, sagte Bill Gates zuletzt über Elon Musk. Hintergrund ist die erhöhte Kindersterblichkeit, die durch Musks Kahlschlag bei der US-Entwicklungshilfe-Organisation USAID verursacht wird. Gänzlich abstreiten kann man diesen Vorwurf nicht – allerdings sollte keineswegs der Eindruck entstehen, dass die USA in der Zeit vor Trump und Musk in selbstloser Großzügigkeit in der Entwicklungshilfe involviert waren. Oft haben die USA in der jüngeren Geschichte mit Hilfe der Entwicklungspolitik ihre eigenen Interessen verfolgt – knallhart und realpolitisch, wie es die Forschungsliteratur mittlerweile in Hülle und Fülle belegt.

Ein anschauliches Beispiel dafür lieferte der ehemalige US-Außenminister James Baker, denn unverhohlener konnte eine Drohung kaum ausfallen: »Das ist die teuerste Stimme, die Sie je abgegeben haben«, teilte er 1990 dem jemenitischen Botschafter per Notiz mit, nachdem dieser entgegen der US-Position nicht für den Einsatz von Streitkräften gegen den Irak gestimmt hatte. Und Baker machte Ernst: Die Vereinigten Staaten strichen dem Jemen die gesamte Entwicklungshilfe von 70 Millionen US-Dollar und das Land erhielt sechs Jahre lang keine Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Natürlich ist das Vorgehen von Trump und Musk gegen USAID eine neue Stufe der Eskalation, die ohne Rücksicht auf Verluste zu erheblichen Verwerfungen führt, insbesondere in der globalen Gesundheitsversorgung. Und ja: Die Gleichgültigkeit über die Auswirkungen dieser Entscheidung zeigt ein neues Ausmaß der Rücksichtslosigkeit der US-Politik. Allerdings war auch in der Vergangenheit die Entwicklungshilfe nie selbstlos, wie das Beispiel Jemen zeigt. Sie diente stets auch als Instrument zur Durchsetzung eigener Interessen und schafft zwangsläufig Machtungleichgewichte zwischen Geber- und Empfängerstaaten.

Hilfe als politisches Druckmittel

Die in liberalen Kreisen beschworene »Politik auf Augenhöhe« ist höchstens ein Lippenbekenntnis. Für eine solche Politik müssten andere Hebel in Bewegung gesetzt werden – etwa eine Reform der internationalen Währungs- und Finanzarchitektur. Doch genau dagegen sperren sich die Industriestaaten. Das Ungleichgewicht wird besonders beim Internationalen Währungsfonds (IWF) deutlich: Obwohl die Industriestaaten nur 13,7 Prozent der Weltbevölkerung stellen, halten sie 59 Prozent der Stimmrechte. Die USA verfügen sogar über ein alleiniges Vetorecht. Die übrigen 86,3 Prozent der Weltbevölkerung müssen sich mit 41 Prozent der Stimmrechte begnügen – obwohl es vor allem die Länder des globalen Südens sind, die am stärksten von den marktliberalen Programmen des IWF betroffen sind.

In den multilateralen Entwicklungsorganisationen beharren die Industriestaaten darauf, weiter die Kontrolle über die Wirtschaftspolitik in den Ländern des globalen Südens auszuüben. Bei der bilateralen Entwicklungshilfe ist das Maß der Kontrolle noch größer – und die Geberstaaten nutzen die Entwicklungshilfe, um sich politische Gefälligkeiten zu kaufen. Dieser sogenannte Transactionalism, also Hilfe als Mittel zum Zweck, hat Tradition.

»Entwicklungshilfe schafft Machtungleichgewichte zwischen Geber- und Empfängerstaaten.«

Infolge der Entkolonialisierung in den 1950er und 60er Jahren beispielsweise begann ein Wettlauf zwischen den Supermächten um den politischen Einfluss und den Zugang zu Rohstoffen in Afrika. Die Entwicklungshilfe nahm dabei eine zentrale Rolle ein. In vielen Fällen hielten die USA und die Sowjetunion autoritäre Regime am Leben, die ohne ihre Kapitalzuflüsse nicht lange überlebt hätten.

Bei den Vereinten Nationen nutzen die die Industrienationen Entwicklungshilfe als Druckmittel zur Stimmenbeschaffung. Zwar sind die Resolutionen der Generalversammlung rechtlich nicht bindend, doch ihre symbolische Tragweite ist nicht zu unterschätzen – je größer die Mehrheit, die ein Land für die eigene Position gewinnen kann, desto besser. Und obwohl alle Staaten die Entwicklungspolitik für die Durchsetzung ihrer eigenen Interessen nutzen – nirgendwo sonst ist die Idee des »Deal-Making« so ausgeprägt wie in den Vereinigten Staaten: dort gibt es seit den 1980er Jahren sogar ein Gesetz, das das Außenministerium dazu verpflichtet, über das Abstimmungsverhalten der Länder in der Generalversammlung zu berichten, falls die betroffenen Sachverhalte für die Interessen der USA relevant sind. USAID muss dieses Abstimmungsverhalten bei der Vergabe von Hilfsgeldern berücksichtigen. Zustimmung in der Generalversammlung wird finanziell belohnt, Ablehnung dagegen bestraft.

Signalwirkung nach innen

Eine ähnliche Logik kommt zum Tragen, wenn Entwicklungsländer temporär einen größeren politischen Einfluss erlangen – etwa durch einen der zehn nichtständigen Sitze im UN-Sicherheitsrat. Da Entscheidungen eine Mehrheit von neun der fünfzehn Stimmen benötigen (ohne Veto der fünf ständigen Mitglieder), besteht ein Anreiz, möglichst viele Mitglieder auf die eigene Seite zu ziehen. Hilfsgelder für Entwicklungsländer steigen dementsprechend während der Sicherheitsrat-Mitgliedschaft deutlich an – aus den USA etwa um 59 Prozent. Umgekehrt kann es für Staaten finanzielle Einbußen geben, wenn sie sich gegen die USA stellen – und zur Not greift man auch auf den IWF zurück.

Das musste nicht nur der Jemen erfahren. Nachdem Zimbabwe 1990 einen Sitz im UN-Sicherheitsrat erhalten hatte und eine Resolution der USA, wiederum gegen den Irak, nicht unterstützen wollte, drohte man dem Land, die Auszahlungsbedingungen der nächsten IWF-Kredittranchen zu verschärfen. Daraufhin unterstützte Zimbabwe im Sicherheitsrat elf Resolutionen gegen den Irak. Auch IWF-Kredite an alliierte Staaten der USA gingen in der Vergangenheit mit weniger Bedingungen einher als Kredite an nicht-alliierte Staaten. Dasselbe trifft empirisch auch auf Kredite und Projekte der Weltbank zu.

»Entwicklungshilfe war und ist immer ein Instrument zur Durchsetzung politischer Interessen und zur Bildung strategischer Allianzen gewesen.«

Zudem werden multilaterale Institutionen oft zur »verdeckten Entwicklungshilfe« genutzt, wenn die Unterstützung durch Entwicklungshilfe innenpolitisch nicht vertreten werden kann. Ein Beispiel: Ende der 1970er Jahre begann Bangladesch in der Generalversammlung häufiger gegen die Positionen der USA zu stimmen, sodass eine Ausweitung der Entwicklungshilfe dem Kongress aufgefallen wäre. Da Bangladesch aber auch im Sicherheitsrat vertreten war und die USA auf Unterstützung bei wichtigen Resolutionen angewiesen waren – wie beispielsweise der Resolution 457, die im Dezember 1979 den Iran dazu aufrief, die amerikanischen Geiseln freizulassen – wurde der Rückgang der bilateralen Entwicklungshilfe durch eine Zunahme der multilateralen Kredite kompensiert. Die Darlehensverpflichtungen des IWF, die 1978 bei null lagen, stiegen bis 1980 auf bis zu 400 Millionen US-Dollar an. Die Gelder von der Weltbank wuchsen ebenfalls um deutlich mehr als das Doppelte: von 156 Millionen US-Dollar im Jahr 1978 auf 417 Millionen US-Dollar im Jahr 1980.

Wenn Donald Trump nun mit Elon Musk die Entwicklungshilfe einstampft, bedeutet das nicht die Abkehr von einer ehemals selbstlosen Praxis. Entwicklungshilfe war und ist immer ein Instrument zur Durchsetzung politischer Interessen und zur Bildung strategischer Allianzen gewesen. Die Schließung von USAID mag zwar – anders als in der Vergangenheit – auch eine stärkere Signalwirkung nach innen haben und die MAGA-Fanatiker befriedigen (und die innenpolitische Wirkungen mag derzeit außenpolitische Erwägungen übertrumpfen).

Doch man kann sich sicher sein, dass die USA auch in Zukunft dort, wo sie Interessen haben, ihre ganze Finanzkraft (und zur Not das Militär) in die Waagschale werfen werden, um diese Interessen zu verfolgen. Das dürfte nach der Regierungszeit von Trump auch weiterhin die gängige Praxis bleiben, wenngleich mit mehr Struktur und Ordnung.

[Patrick Kaczmarczyk ist als Entwicklungsökonom an der Universität Mannheim am Kompetenzzentrum für Transformation tätig und berät die Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD).]

Der Text ist im Original auf dem Internetportal Jacobin erschienen: https://www.jacobin.de/artikel/elon-musk-donald-trump-usaid-entwicklungshilfe