Fluch und Segen in der Auslandsberichterstattung der ARD

Kritische Anmerkungen zum Tagesschau-Beitrag von Karin Bensch:

Altkleider in Ostafrika – Second-Hand-Mode ist Fluch und Segen

[https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/second-hand-kleidung-kenia-altkleider-100.html Stand: 22.04.2024 08:59 Uhr]

Nach dem die Autorin des ARD-Beitrags klargestellt hat, dass „…die Second-Hand-Sachen auf…“ dem Gikomba-Markt in Nairobi „…keine Kleiderspenden (sind)“, sondern von kommerziellen Textilhändeln – vor allem aus den USA, aus China und Großbritannien, aber auch aus Deutschland stammen, verweist sie kurz auf die dramatischen Folgen des Massenimports von gebrauchter Kleidung nach Ostafrika: „In der kenianischen Textilindustrie sind viele Jobs verloren gegangen, … Die einst große Vielfalt an Textilproduktion … gebe es aber nicht mehr…“ Insgesamt glaubt Frau Bensch allerdings fest daran, dass der Niedergang der Textilproduktion durch den „Zugewinn“ an „tausenden neuen Jobs“ in „Nähstuben, Wäschereien und Transportunternehmen“ mehr als aufgewogen wird.

Second hand-Textilienmarkt in Arusha, Tansania; © Hopfmann

Sinnvoll ist an diesem Beitrag lediglich, dass er auf ein Problem hinweist. In den achtziger Jahren gab es in fast allen Ländern Afrikas eine florierende Textilindustrie. „Dank“ Handelsliberalisierung konnten Stoffe aus China, auch aus Europa, kostengünstig nach Afrika exportiert werden. Das Ergebnis: Eine Fabrik nach der anderen wurde schlossen. In Kinshasa wohnte ich in den achtziger Jahren nahe einer solchen Textilfabrik: Die Webstühle klapperten Tag und Nacht. Bei meinem Aufenthalt zwanzig Jahre später war davon nichts mehr zu hören; die Webstühle standen still.

Jetzt kommen aus Europa riesige Ballen mit Textilien in drei Qualitätsstufen. Die höchste Qualität geht in die Boutiquen in den Innenstädten, wo sie zu völlig überhöhten Preisen als letzter Schrei der Mode verkauft wird. Die nächstniedrigere Qualität wird ein wenig aufgearbeitet, dort und da ein Bändchen oder ein Schmuckelement daran, schon findet es den Weg zum Kunden. Fliegende Händler verkaufen die unterste Qualitätsstufe auf der Straße – oder sie landet auf unendlich langen Wühltischen. Sicher ein paar Frauen und Männer finden in dieser Wertschöpfungskette ihr Auskommen, dennoch unvergleichlich weniger als zuvor, vor allem auch weniger qualifiziert.

Ein Aspekt für Kulturbewusste: Trotz wechselnder Mode in Europa bleibt diese eine langweilige Einheitskleidung. Die afrikanischen Wax- und Superwax-Stoffe, farbenfroh, tolle Muster, mitunter auch mit Bildern oder Sprüchen, werden zurückgedrängt.

Im gleichen Zeitraum flossen Milliarden an Entwicklungshilfe in diese Länder ohne einen nennenswerten Effekt. Wenn heute Afrikanerinnen und Afrikaner ihr Heil in der Flucht nach Europa suchen, dann hat das auch mit der verfehlten Politik gegenüber diesen Ländern zu tun.

Übrigens, in fast allen heutigen Industrieländern stand die Textilindustrie am Beginn ihrer Industrialisierung – geschützt von Importzöllen.

Joachim Oelßner