In Afrika bildet sich immer nachdrücklicher ein neues Selbstbewusstsein heraus

Am Sonnabend, den 13. April 2024, hat die DAFRIG ihre Jahreshauptversammlung in Leipzig abgehalten. Im folgenden dokumentieren wir den politischen Teil des Berichts, der vom Vereinsvorsitzenden Joachim Oelßner vorgetragen wurde.

Afrika bleibt bunt, vielfältig und voller Überraschungen, vor allem politischer Natur. Im Verlaufe von ca.
70 Jahren zumindest formaler politischer Unabhängigkeit bildete sich immer nachdrücklicher ein neues Selbstbewusstsein heraus. Die afrikanischen Gesellschaften haben vielfältige politische Erfahrungen seit Erlangen der Unabhängigkeit akkumuliert. Waren es vor etwa 30 Jahren die Massendemonstrationen gegen Einparteienregimes und für Pressefreiheit, die in Nationalkonferenzen und Neuwahlen mündeten, wendeten sich einige Länder im vergangenen Jahr deutlicher als je zuvor gegen die Präsenz ihrer einstigen Kolonialmacht. Mali, Burkina Faso und Niger suchen selbstbewusst neue Wege in die Zukunft. Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit Niger war vor allem dem Ziel geschuldet, mit polizeilichen Mitteln Fluchtrouten nach Europa abzuschneiden. Geht Entwicklungspolitik noch perverser? Offenbar kommt zu den genannten Staaten nun Senegal hinzu. Ob eine verstärkte Hinwendung zu Russland die Lösung ist, bleibt abzuwarten. Weltpolitisch setzt Südafrika mit der Anrufung des höchsten Rechtsorgans der Welt bezüglich des israelischen Krieges in Gaza ein Zeichen für das gewachsene Selbstbewusstsein der Entwicklungsländer.

Leider waren Afrikanerinnen und Afrikaner auch im vergangenen Jahr mit bewaffneten Konflikten unterschiedlichster Art konfrontiert. Die Sahelzone bleibt unsicher, Bürgerkriege im Sudan und Äthiopien, Unruhen am Horn von Afrika, die seit etwa 30 Jahren anhaltenden Auseinandersetzungen im Osten Kongos. Schwache politische Strukturen in einigen Staaten behindern weiterhin Entwicklung.

Nach bisherigen Informationen lag das Wachstum der Wirtschaft dieses Erdteils – je nach Quelle – zwischen -3 und +3 Prozent. Aber der Aussagewert dieser Daten ist ohnehin begrenzt, da ein Großteil der Arbeit auf diesem Kontinent, die Subsistenzwirtschaft in Stadt und Land, statistisch nicht erfasst wird. Dennoch sagt diese Zahl etwas über die Problemlage: Aufgrund des russischen Krieges in der Ukraine konnten aus diesen beiden Ländern die Weizen – und Düngemittelexporte nicht wie gewohnt nach Afrika gelangen. Die Nahrungsmittelpreise stiegen rasant an, der Hunger nahm zu. Außerkontinentale Krisen verbanden sich mit innerafrikanischen Problemlagen. Unser Praktikant Raphael Gumo stellte in einer Studie zu Nordkamerun, unsere Projektregion, eine doppelte Bedrohung fest: Das Zusammenfallen des Russland-Ukraine-Konflikts mit dem Vordringen von Boko Haram führte zu einer prekären Versorgungslage. In Bezug auf die Lebensmittelpreise im Verhältnis zum Einkommen fiel Nordkamerun auf den besorgniserregenden 111. Platz von 113 Ländern. Sicher, jede Konfliktregion hat ihre Besonderheiten, in ihren fatalen Auswirkungen auf die Bevölkerung ähneln sie sich jedoch alle.

Ähnlich wie Deutschland fokussieren alle anderen westlichen Industrieländer derweil ihren Blick auf afrikanische Flüchtlinge. Kein Wort davon, dass diese Flüchtlingsbewegung im Grunde ein Qualitätsnachweis einer völlig verfehlten Entwicklungspolitik seit Jahrzehnten ist. Die Lomé-Abkommen mit den AKP-Staaten: 100 Seiten wohlfeile Politik, 400 Seiten wirtschaftspolitische Begrenzungen der Zusammenarbeit, es sei denn es geht um Rohstoffe. Dazu mit jedem Ministerwechsel in Berlin stets neue verbale Höhenflüge, die eher mit der Politikblase in Europa und Berlin verbunden sind als mit Afrika. Aktuell ist die feministische Entwicklungspolitik der Weisheit letzter Schluss. Ja, das Einbinden der Frauen in jede Entwicklungsbemühung war und ist ein Grunderfordernis. Es gilt jedoch Wirtschaftskreisläufe in afrikanischen Ländern und Regionen zu entwickeln und zu unterstützen, sinnvolle Schutz- und Exportzölle zu etablieren. Im laufenden Jahr fehlen im BMZ-Haushalt 940 Mio. Euro, zehn Prozent des Vorjahresetats. Weitere Kürzungen drohen im kommenden Jahr. Zur Perversität unserer Zeit: Der Marktwert aller Vereine der ersten Bundesliga beträgt knapp 40 Prozent des Budgets der Entwicklungszusammenarbeit (11,22 Mrd. € EWZ, 4,42 € Mrd. erste Bundesliga).

Was noch? Weltbank und IWF müssen endlich den Entwicklungsländern ein angemessenes Mitspracherecht einräumen, ebenso einen gerechten Zugang zu den finanziellen Ressourcen für ihre Entwicklung. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde diese Forderung immer prononcierter vorgetragen, jedoch ohne Erfolg. Sicher, wir fragen uns mitunter genervt, warum afrikanische Kriegsparteien nicht endlich zum Wohle ihrer Länder Frieden schließen können. Doch auch Akteure der Weltpolitik sind unfähig ihre Probleme lösen. Die nach dem II. Weltkrieg geschaffene Ordnung bedarf der Veränderung: Die Reform des UN- Sicherheitsrat steht auf der Tagesordnung, einige Länder des globalen Südens haben ein Anrecht auf einen Sitz. Übrigens, derzeit gibt es ein Atomwaffenverbotsabkommen, dem viele Staaten beigetreten sind, leider nicht jene Staaten, die solchen Waffen besitzen, ein Skandal!