Patrice Lumumba ist unvergessen

Aus Anlass der Ermordung von Patrice Lumumba am 17. Januar 1961 hat Gerhard Oberkofler, geb. 1941, Dr. phil., Universitätsprofessor i.R. für Geschichte an der Universität Innsbruck, eine Erinnerung an die „gezielte Tötung“ des kongolesischen Befreiungskämpfers im Auftrag des US-Imperialismus verfasst, die am 24. Dezember 2022 in der Zeitung der Arbeit (Wien) erschienen ist (https://zeitungderarbeit.at/feuilleton/geschichte/weihnachtszeit-im-kongo-1960-1961/).

Nachfolgend einige kurze Auszüge aus dem Text von Prof. Oberkofler . Der vollständige, sehr ausführliche Text findet sich unter der oben angegebenen URL.

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Im Jahr 1960 konstituierten sich in Afrika siebzehn neue Staaten, deren Völker sich formal von den Ketten des Kolonialjochs befreien konnten. Ende 1960 nahmen auf der 15. Sitzungsperiode der Vereinten Nationen (UNO) Delegationen von 21 afrikanischen Nationalstaaten teil, die in ihren unterschiedlichen politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen von den Alptraumlasten des Kolonialismus geprägt waren. Der algerische Befreiungskampf dauerte bis zur Proklamierung der Demokratischen Volksrepublik Algerien am 25. September 1962 noch an. Das Auftreten der formal unabhängigen afrikanischen Länder war von Verflechtungen mit der imperialistischen Politik angeleitet. Ausnahmen sind Kwame Nkrumah (1909–1972) von Ghana und Ahmed Sékou Touré (1922–1984) von Guinea, die dem Monopolkapitalismus nicht die Türen öffnen wollten. Der Afrikanist Endre Sík (1891–1978) hat als ungarischer Missionschef bei der UNO erlebt, wie einige Delegierte der unabhängig gewordenen ehemaligen französischen Kolonien sich verhalten haben: „Ich hatte ausgiebig Gelegenheit, die Delegationen Dahomes und Gabuns zu beobachten, die – genau wie die Franzosen – entsprechend der alphabetischen Ordnung in der Reihe vor uns saßen. Vor jeder Abstimmung ging entweder ein Mitglied dieser Delegationen zu den Franzosen, um sich Weisung zu holen oder ein französischer Delegierter kam zu ihnen, um sie anzuweisen wie sie zu stimmen hätten. […] Es kam sogar soweit, dass die Afrikaner gegen die von dem Revolutionär Lumumba geleitete Delegation der gesetzlichen kongolesischen Regierung stimmten, so dass sie mit Mehrheit aus der UNO ausgeschlossen und an deren Stelle die Leute des amerikahörigen [Joseph] Kasavubu [(1915–1969)] aufgenommen wurden“. Die österreichischen Sozialdemokraten verehren Henry Kissinger (*1923). Er erzählt, dass Charles De Gaulle (1890–1970) in seiner Politik gegenüber den unabhängig gewordenen Afrikaländern „die zivilisatorische Mission Frankreichs“ aufrecht erhalten wollte. Kissinger hat als Nationaler Sicherheitsberater 1970 „ein großangelegtes Bombardement gegen Kambodscha“ befohlen, es war, wie Noam Chomsky urteilt, „ein Aufruf zum Völkermord, wie man ihn nur selten in historischen Archiven findet“. In den afrikanischen Ländern war der antikolonialistische Befreiungskampf aufgrund der historischen Bedingungen vor sehr unterschiedliche Probleme gestellt. Eine sozialistische Revolution mit der Umwandlung der alten kolonialistischen Verhältnisse war im Kongo nicht am Horizont, es fehlte an entschlossenen einheimischen Kadern, an Technologie und Infrastruktur und an der Zeit. Belgische, britische und US-amerikanische Unternehmen hatten nur die Riesenprofite versprechende Ausbeutung der reichen kongolesischen Vorkommen an Kupfer, Kobalt, Diamanten, Gold, Zinn, Mangan und Zink im Sinne. Kriegswichtig waren der USA das aus der Shinkolobwe-Mine im Kongo von der belgischen Union Miniére du Haut Katanga gelieferte Uranerz. 1958 baute General Atomic eine eigene Anlage zur Entwicklung der Kernenergie in Kinshasa. Mehr als 80 Prozent des für die Bomben von Hiroshima und Nagasaki benötigten Urans stammten aus dem Bergwerk Shinkolobwe.

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Zu Anfang Juni 1960 hat die Mouvement National Congolaise bei allen durch die tribalen Unterschiede bedingten Probleme mit mehr als ein Drittel aller Stimmen die Wahlen im Kongo für sich entschieden. Patrice Lumumba wurde erster Ministerpräsident der mit 30. Juni 1960 unabhängig gewordenen Republik Kongo (République du Congo). Als Staatspräsident des Kongo fungierte der Katholik Joseph Kasavubu. Es war ein erster Schritt in die Revolution hinein ohne jede Gelegenheit für einen friedlichen Ausbau. Während der Unabhängigkeitsfeier in Léopoldville (seit 1966 Kinshasa) hat der tiefkatholische belgische König Baudoin (1930–1993) das Kolonialregime mit allen seinen Metzeleien gerühmt: „80 Jahre lang hat Belgien dem Kongo seine besten Söhne geschickt, zuerst um das Kongo-Becken vom abscheulichen Sklavenhandel zu befreien, der die Bevölkerung dezimiert hatte; dann um die einst verfeindeten Stämme zusammenzubringen, die nun den größten aller unabhängigen Staaten Afrikas ausmachen werden.“ Und zum Schluss seiner Heuchelrede sagt Baudoin: „Jetzt liegt es bei Ihnen, meine Herren, sich unseres Vertrauens würdig zu erweisen“. Der aufgebrachte Lumumba erwiderte vor den anwesenden Diplomaten und Vertretern der Presse wie vor seinen Landsleuten: „Wir haben erleben müssen, dass man uns verhöhnte, beleidigte, schlug, tagaus, tagein, von morgen bis abends, nur weil wir Neger waren. […] Wir haben erleben müssen, dass man unser Land raubte, aufgrund irgendwelcher Texte, die sich Gesetze nannten, aber in Wahrheit nur das Recht des Stärkeren verbrieften. […] Auch die Erschießungen, denen so viele unserer Brüder zum Opfer fielen, wir niemand von uns je vergessen, die Kerker, in die man gnadenlos alle warf, deren einziges Verbrechen es war, sich nicht länger einer Justiz fügen zu wollen, die das Geschäft der Unterdrücker und Ausbeuter besorgte“. Die deutsche Journalistin Andrea Böhm (*1961) hat Filmaufnahmen gesehen mit den „fassungslosen, eisigen Mienen Baudoins und der Diplomaten“ und den Jubel der Landsleute von Lumumba.

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Am 31. August 1960 wurde in Léopoldville noch eine Konferenz der unabhängigen Staaten Afrikas beendet, die das kongolesische Volk der vollen Unterstützung im Kampf gegen die Kolonialisten versicherte. Die USA-Regierung befürchtete, Lumumba sei in der Lage ein afrikanischer Fidel Castro (1926–2016) zu werden und gab grünes Licht für seine Ermordung. Der nach Geld gierende und vom schweizerischen Bankplatz den westlichen Werten angemessen betreute Oberst Sese Seko Mobutu (1930–1997) und die Marionette Kasavubu, der sich am 5. September 1960 in einer Rede von Lumumba distanzierte, befolgten den Auftrag ihrer Geldgeber. Der örtliche Vertreter des CIA schrieb nach Washington, es bleibe nur wenig Zeit, um im Kongo ein zweites Kuba zu verhindern. Am 14. September 1960 wurden die Sitzungen des kongolesischen Parlaments unterbrochen und Lumumba als Regierungschef abgesetzt. Die mit 15. Juli 1960 von der UNO entsandte Friedenstruppe mit etwa 18.000 Mann, in der seit Anfang Dezember 1960 ein Sanitätskontingent des österreichischen Bundesheeres beteiligt war, schaute bis zum Ende ihres Einsatzes (1964) nur weg.

Weihnachtszeit im Kongo 1960/1961! Nach wie vor wurde der abgesetzte Regierungschef Lumumba vom internationalen Finanzkapital als Gefahr eingeschätzt. Deshalb wurden am 1. Dezember 1960 Patrice Lumumba, Verteidigungsminister Maurice Mpolo (1928–1961) und Senatspräsident Josef Okito (1910–1961) in Port Franqui (Ilebo) von Einheiten unter dem Befehl von Mobutu verhaftet und im Gefängnis von Thysville eingekerkert. Unter der Befehlsgewalt belgischer Offiziere wurden Lumumba, Mpolo und Okito am 17. Jänner 1961 nahe von Élisabethville (seit 1966 Lubumbashi) getötet. Lumumba war nur 36 Jahre alt geworden. Belgische und US-amerikanische Agenten waren an seiner gezielten Tötung beteiligt. Der Widerstand von Anhängern Lumumbas musste scheitern, weil die imperialistischen Kräfte des Westens alles militärisch und finanziell Notwendige aufgeboten haben, um die Ausbeutungsverhältnisse abzusichern.

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Auf Initiative der Freien Deutschen Jugend (FDJ) wurde in Leipzig auf dem Universitätsgelände der Karl-Marx-Universität (heute Universität Leipzig) ein „Dem ehrenden Gedenken an Patrice Lumumba“ von der „Jugend der Deutschen Demokratischen Republik“ gewidmetes Denkmal vor dem Herder-Institut aufgestellt. Geschaffen wurde diese Lumumba-Büsten von Rudolf Oelsner (1906–1995) und ist seit 1997 verschwunden.* Bei der Einweihung dieses Denkmals aus Anlass des 16. Weltjugendtages am 10. November 1961 sprachen der kongolesische Student Mongo German Nue und der Präsident der afrikanischen Studenten in Leipzig Gema Mongungo. An der Karl-Marx-Universität lehrte in diesen Jahren der altösterreichische Widerstandskämpfer Walter Markov (1909–1993), ein Spezialist des französischen Revolutionsgeschehens, dem die nationalen Befreiungskämpfe der Völker zu einem Herzensanliegen geworden sind. Der von ihm eröffneten Arbeitstagung des Instituts für Allgemeine Geschichte zur neueren und neuesten Geschichte Afrikas am 17. / 18. April 1959 teilte Sekou Touré in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident der Republik Guinea seine „freundlichen Gefühle und besten Wünsche“ mit. Markov erklärte die „Versammlung als Gruß – dem Afrikanischen Freiheitstag den kämpfenden Völkern Afrikas“. Markov stellt in seinem Vortrag fest, wie die graduellen Entwicklungsdifferenzen in einen wirklichen prinzipiellen Graben zwischen Europa und ganz Afrika in der Epoche des westeuropäischen Sklavenhandels transformiert worden sind.

* Mit Hilfe von Spenden hat die DAFRIG das Lumumba-Denkmal an seinem ursprünglichen Standort am 15. Januar 2011 wiedererrichtet. (https://www.nd-aktuell.de/artikel/186677.lumumba-denkmal-in-leipzig.html)

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